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21. Juni 2023

Bauen mit Lehm

Eine bauaufsichtliche Einordnung

Bettina Hemme (DIBt)

Für Planung, Bemessung und Ausführung von Lehmbauteilen für Wohngebäude der Gebäudeklasse 1 und 2 mit höchstens zwei Vollgeschossen enthält die Muster-Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV TB) Teil A Lfd. Nr. A 1.2.8.8 die technische Regel „Lehmbau Regeln: Begriffe – Baustoffe – Bauteile (2008-09).

In den letzten Jahren hat sich mit der werksmäßigen Herstellung von Lehmbauprodukten die Qualität erheblich weiterentwickelt. Das Leistungsvermögen hinsichtlich Tragfähigkeit hat ein mit Mauerwerk (z.B. Porenbeton) vergleichbares Niveau erreicht.

Darüber hinaus haben sich die bereits vor zehn Jahren erarbeiteten und veröffentlichten Normen für Lehmsteine (DIN 18945), Lehmmauermörtel (DIN 18946) und Lehmputzmörtel (DIN 18947) in der mehrjährigen Anwendung bewährt. Im Zuge der Erarbeitung von DIN 18940:2023-06 „Tragendes Lehmsteinmauerwerk – Konstruktion, Bemessung und Ausführung“ wurden diese Produktnormen zusammen mit der seit fünf Jahren veröffentlichten Norm für Lehmplatten (DIN 18948) aktualisiert. Zusätzlich wurde DIN 18945-100 erarbeitet, welche Regelungen zu Art, Umfang und Häufigkeit von Maßnahmen im Rahmen der Werkseigenen Produktionskontrolle und einer ggf. vorgeschriebenen Fremdüberwachung durch eine unabhängige Stelle enthält. DIN 18945 bis 18948 und DIN 18945-100 liegen derzeit als Entwürfe der Fachöffentlichkeit zur Stellungnahme vor.

Mit der Erarbeitung von DIN 18940:2023-06 liegen nun Bemessungsregeln basierend auf dem Teilsicherheitskonzept der Eurocodes vor. Zusammen mit den überarbeiteten Produktnormen ergibt sich ein in sich schlüssiges Normenpaket, welches die Herstellung von Lehmprodukten sowie die Planung, Bemessung und Ausführung von Lehmmauerwerk umfasst. Aus Sicht des DIBt ist das Normenpaket geeignet, die „Lehmbau Regeln“ als Technische Baubestimmung abzulösen.

Es ist geplant, eine Vorlage für die Gremien der Bauministerkonferenz der Länder auf den Weg zu bringen, in der vorgeschlagen wird, DIN 18940:2023-06 als Technische Baubestimmung in der MVV TB unter der Lfd. Nr. A 1.2.6 (Bauliche Anlagen im Mauerwerksbau) aufzunehmen und die Lfd. Nr. A 1.2.8.8 zu streichen. Für die Produktnormen DIN 18945 und 18946 (Lehmsteine und Lehmmauermörtel) soll - zusammen mit DIN 18942-100 - die Aufnahme in die MVV TB unter der Lfd. Nr. C 2.2 (Bauprodukte für den Mauerwerksbau) vorgeschlagen werden.

Stand der Technik: DIN 18940 – Tragendes Lehmsteinmauerwerk bis einschließlich Gebäudeklasse 4

Ein Gastbeitrag von Philipp Wiehle (Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung, BAM)

Mit Veröffentlichung der DIN 18940 „Tragendes Lehmsteinmauerwerk – Konstruktion, Bemessung und Ausführung“ wird künftig ein normatives Bemessungsverfahren für Lehmsteinmauerwerk zur Verfügung stehen, das sich an dem bekannten und bewährten Verfahren des herkömmlichen Mauerwerksbaus orientiert und gleichzeitig die materialspezifischen Besonderheiten des Lehmsteinmauerwerks berücksichtigt. Wesentliche Unterschiede zu herkömmlichem Mauerwerk bestehen aufgrund der Feuchteabhängigkeit der mechanischen Eigenschaften sowie der vergleichsweise geringen Steifigkeit.

Die mit DIN 18940 vollzogene Umstellung auf das semiprobabilistische Sicherheitskonzept in Verbindung mit der starr-plastischen Ermittlung der Querschnittstragfähigkeit ermöglicht eine höhere Materialausnutzung und somit eine wirtschaftlichere Bemessung als bisher. Dabei erfolgt die explizite Berücksichtigung des Feuchteeinflusses, ähnlich wie im Holzbau, über die Definition von Nutzungsklassen in Verbindung mit einem Umgebungsfeuchtefaktor. Der geringe Elastizitätsmodul wird über eine Anpassung des Traglastfaktors in Wandhöhenmitte berücksichtigt.

Im Vergleich zum bisherigen Bemessungsverfahren nach den „Lehmbau Regeln konnte somit die Mindestwanddicke von 36,5 cm auf 17,5 cm halbiert werden, der Mindestwandquerschnitt beträgt nur noch ein Drittel und die Beschränkung auf maximal zwei Vollgeschosse entfällt. Tragendes Lehmsteinmauerwerk ist künftig bis zu einer Gebäudehöhe von 13 m möglich.

Laut Prognosen besteht in der Bundesrepublik ein jährlicher Bedarf an bis zu 350.000 Wohnungsneubauten. Gleichzeitig sind etwa drei Viertel der fertiggestellten Wohngebäude gemäß Statistischem Bundesamt in Mauerwerksbauweise ausgeführt. Die DIN 18940 stellt eine derzeit in ihrer Art europaweit einmalige Bemessungsgrundlage für tragendes Lehmsteinmauerwerk dar und bietet die Möglichkeit, den dringend benötigten Wohnraumbedarf klima- und ressourcenschonend zu decken. Der Vorteil von Lehmbaustoffen besteht dabei zum einen in der sortenreinen und nahezu vollständigen Rückgewinnung der Rohstoffe – insbesondere der Sandfraktion. Zum anderen entfallen energieintensive Brennvorgänge, wie sie etwa aus der Zementherstellung oder dem Brennen von Ziegeln bekannt sind. Darüber hinaus handelt es sich bei Lehm um einen lokalen und in großer Menge vorkommenden Rohstoff.

Grundlage für diesen Beitrag ist das Forschungsvorhaben „Schaffung von Bemessungsgrundlagen für Lehmmauerwerk auf Basis von DIN EN 1996-3/NA mittels experimenteller und numerischer Grundlagen“ das unter dem Aktenzeichen 34599/01 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert wurde. An der Durchführung waren neben der Bundesanstalt für Materialforschung und ‑prüfung (BAM) die Technische Universität Darmstadt (TUDa) sowie das Ingenieurbüro ZRS Ingenieure GmbH beteiligt.

Weiterführende Informationen:
Schaffung von Bemessungsgrundlagen für Lehmmauerwerk auf Basis von DIN EN 1996/NA mittels experimenteller und numerischer Untersuchungen

Lehmsteinmauerwerk in Prüfeinrichtung
Quelle: Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM)
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