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19. Dezember 2023

30 Jahre europäischer Binnenmarkt, 35 Jahre Harmonisierung für Bauprodukte – Ein Rück- und Ausblick

30 Jahre Binnenmarkt

2023 feiert die Europäische Union das 30-jährige Jubiläum ihres Binnenmarkts. Der "Gemeinsame Markt" zeichnet sich durch die vier Grundfreiheiten, die Verkehrsfreiheit von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital, aus. Diese Grundfreiheiten wurden erstmals zum 1. Januar 1993 zunächst in 12-EU-Ländern, darunter Deutschland, wirksam. In der Bilanz ist der Europäische Binnenmarkt ein durchschlagender, wirtschaftlicher und sozialer Erfolg. Ohne den Binnenmarkt müssten die EU­-Bürgerinnen und -Bürger auf rund 4 % ihres Wohlstands (gemessen am realen Pro-Kopf-Einkommen) verzichten – und das pro Jahr. Betrachtet man zusätzlich andere Integrationsschritte, wie die Eurozone, die Zollunion oder Transferleistungen geht es um durchschnittlich 6 % pro Jahr (Deutschland 5,1 %). Das geht aus einem Papier des Kiel Instituts für Weltwirtschaft hervor [1]. Nach Angaben der EU profitieren vom Binnenmarkt, dessen Volumen 2021 rund 14 Billionen Euro betrug, rund 440 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger [2].

35 Jahre Harmonisierung für Bauprodukte

Die EU-weite Harmonisierung im Bauwesen reicht noch weiter zurück. Am 27. Dezember 1988, noch knapp vor Jahresende, tritt die Bauproduktenrichtlinie (Richtlinie 89/106/EWG), in Kraft [3]. Ihre Wirkung entwickelt sie erst nach und nach.

1998 konnte erstmals ein Bauprodukt CE-gekennzeichnet werden. Es handelt sich um einen kraftkontrolliert spreizenden Dübel nach ETA-98/0001, ausgestellt durch das DIBt. Grundlage ist die in Fachkreisen weithin bekannte europäische Zulassungsrichtlinie "ETAG 001 – Metalldübel zur Verankerung in Beton", ebenfalls federführend vom DIBt erarbeitet.

Honoratioren der Europäischen Kommission und der EOTA mit einen kraftkontrolliert spreizenden Metalldübeln in den Händen
1998 stellt das DIBt die europaweit erste ETA für einen kraftkontrolliert spreizenden Metalldübel aus. Zur feierlichen Übergabe reisen auch Honoratioren der Europäischen Kommission und der EOTA an. Quelle: Norbert Balmer, Berlin

Die erste harmonisierte Norm (hEN) – die Zementnorm DIN EN 197­-1:2000­-11 – wird im Jahr 2000 fertiggestellt.

Mitte 2013 stehen der Baubranche rund 400 harmonisierte Bauproduktnormen [4] und 35 Zulassungsleitlinien (ETAGs) [5] sowie zahlreiche Common Understandings of Procedure (CUAPs) für die Erstellung von europäischen technischen Zulassungen zur Verfügung. In Bezug auf den Abbau technischer Handelshemmnisse und die Herausbildung eines innereuropäischen Handels mit Bauprodukten ein beachtlicher Erfolg.

Zu diesem Zeitpunkt ist die Ablösung der Bauproduktenrichtlinie durch die Bauproduktenverordnung zum 1. Juli 2013 bereits beschlossene Sache. Zu den primären Zielen der Novelle gehörte schon damals eine klare Kompetenzabgrenzung zwischen den Befugnissen der Mitgliedstaaten, die die Verantwortung für die Sicherheit von Bauwerken tragen, und den Befugnissen der Europäischen Kommission, die über den freien Binnenmarkt wacht.

Stand heute

Rund 10 Jahre später, Ende 2023, befinden sich nicht nur eine, sondern drei für die Baubranche relevante EU-Rechtsnormen in der Überarbeitung. In den informellen interinstitutionellen Ver­handlungen zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission wurden abschließend folgende Ergebnisse erzielt:

Zuerst konnten die Verhandlungspartner einen Durchbuch bei der Ökodesign-Verordnung melden. Diese wird künftig die Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG [6] ablösen. Zentrales Novum ist, dass die Verordnung nicht mehr nur den Energieverbrauch in den Fokus nimmt, sondern die Umweltwirkungen bzw. Nachhaltigkeit von Produkten insgesamt. Ein Instrument dazu, soll ein "digitaler Produktpass" sein, der Verbrauchern und Unternehmen die Wahl nachhaltiger Produktvarianten leichter machen soll. Dieser wird sich in den Regelungen in der Bauproduktenverordnung wiederfinden [7].

Drei Tage später, am 7. Dezember 2023, erzielten die Verhandlungspartner einen Kompromiss zur Novelle der Richtlinie 2010/31/EU über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden [8]. In den Medien weithin aufgenommen wurde die Tatsache, dass die "Sanierungspflicht" von Wohngebäuden mit schlechten Energieeffizienzklassen nicht den Weg in den Kompromiss gefunden hat. Festgelegt wurden stattdessen Zielmarken für die Reduktion des durchschnittlichen Primärenergiebedarfs von Wohn­gebäuden bis 2030 um 16 % und bis 2035 um 20-22 %. Bei der Umsetzung dieser Ziele haben die Mitgliedstaaten Gestaltungsfreiheit. Neu ist auch: für die Energieeffizienzausweise sollen es ein
EU-weites Muster mit gemeinsamen Kriterien geben. [9]

Last but not least, konnten sich Europäisches Parlament und Rat am 13. Dezember 2023 auf eine Einigung für eine neue Bauproduktenverordnung verständigen [10]. Wichtig waren dem Rat und dem Parlament eine starke Stellung der Normung. Ein Eingreifen der Kommission bei "Mängeln in der Normung" wird nur im Ausnahmefall und unter strengen Bedingungen möglich sein. Angelehnt an die Ökodesign-Richtlinie wird es zudem den digitalen Produktpass für Bauprodukte geben. Jedoch erst nach Konkretisierung der Rahmenbedingungen durch entsprechende Durchführungsrechtsakte der Kommission. Zur Förderung einer grünen Beschaffung durch die öffentliche Hand wird es EU-weite Mindestanforderungen geben. Diese greifen allerdings nur, wenn ein fairer Wettbewerb und eine verhältnismäßige Kostendeckelung gewährleistet werden können. Zu den Übergangsregelungen ist derzeit bekannt, dass die alte Verordnung erst 15 Jahre nach Inkrafttreten der Novelle vollständig auslaufen soll. Das soll insbesondere eine reibungslose Überführung der bestehenden harmonisierten Normen in das neue System gewährleisten. Gleichzeitig soll die neue Verordnung bereits ein Jahr nach ihrer Verabschiedung quasi vollständig in Kraft treten. [11]

Ausblick

Um die Stärke des europäischen Binnenmarkts voll nutzen zu können, braucht es praxistaugliche Harmonisierungsvorschriften, die die nationalen bauaufsichtlichen Anforderungen und den EU-weiten Handel mit Bauprodukten nahtlos miteinander verknüpfen. Ebenso entscheidend wie der Verordnungs­text ist dabei, wie die Regelungen gelebt werden. Hier wird insbesondere der CPR-Acquis-Prozess eine wichtige Rolle spielen. Dort hat sich erfreulicherweise eine sehr konstruktive Arbeitsatmosphäre auf Augenhöhe etabliert, auch wenn in der Sache noch viel Diskussionsbedarf besteht. Im Ergebnis müssen vollständige Bauproduktnormen stehen, die den Bauschaffenden alle benötigten Werte und Informationen an die Hand geben, um sicher bauen zu können.

Quellen:

[1] Gabriel Felbermayr, Jasmin Katrin Gröschl, Inga Heiland, Jürgen Stehn (2019):
Die (Handels-)Kosten einer Nicht-EU. Kiel Policy Brief 125, zuletzt aufgerufen am 14. Dezember 2023

[2] Europäische Kommission (Hrsg.):
Factsheet on the 30th anniversary of the single market (English), zuletzt aufgerufen am 14. Dezember 2023. 

[3] Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte. OJ L 40, 11.2.1989, p. 12–26

[4] Mitteilung der Kommission im Rahmen der Durchführung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (Veröffentlichung der Titel und der Bezugsnummern der harmonisierten Normen im Sinne der Harmonisierungsrechtsvorschriften der EU) Text von Bedeutung für den EWR. ABl. C 186 vom 28.6.2013, S. 24–61

[5] https://www.eota.eu/etags-archive, zuletzt aufgerufen am 14. Dezember 2023

[6] Richtlinie 2009/125/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Schaffung eines Rahmens für die Festlegung von Anforderungen an die umweltgerechte Gestaltung energieverbrauchsrelevanter Produkte (Neufassung
(Text von Bedeutung für den EWR). ABl. L 285 vom 31.10.2009, S. 10–35.

[7] Europäische Kommission (Hrsg.):
Pressemeldung vom 5. Dezember 2023 zur Ökodesign-Verordnung, zuletzt aufgerufen am 14. Dezember 2023
Der aktuelle Kompromisstext ist derzeit noch nicht öffentlich verfügbar.

[8] Richtlinie 2010/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden. ABl. L 153 vom 18.6.2010, S. 13–35.

[9] Europäische Kommission (Hrsg.):
Pressemeldung vom 7. Dezember 2023 zur Energieeffizienzrichtlinie, zuletzt aufgerufen am 14. Dezember 2023
Der aktuelle Kompromisstext ist derzeit noch nicht öffentlich verfügbar.

[10] Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106/EWG des Rates Text von Bedeutung für den EWR. ABl. L 88 vom 4.4.2011, S. 5–43

[11] Rat der Europäischen Union:
Pressemitteilung vom 13. Dezember 2023 zur Bauproduktenverordnung, zuletzt aufgerufen am 14. Dezember 2023

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