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06. Oktober 2023

Barrierefrei auf der DIBt-Website unterwegs

Barrierefrei sind Webauftritte dann, wenn sie für alle Menschen – mit und ohne Beeinträchtigung – zugänglich sind. Leider wird Barrierefreiheit (noch) nicht standardmäßig mitgeliefert, wenn man eine Website in Auftrag gibt. Das DIBt hat nun zahlreiche Schritte unternommen, um seinen Internetauftritt für alle zugänglich zu machen.

Am auffälligsten ist das neue Icon oben rechts. Dahinter verbirgt sich das Vorstellungsvideo zum DIBt in Gebärdensprache. Weitere Videos und Erläuterungen in Gebärdensprache sowie Inhalte in Leichter Sprache folgen in Kürze.

Doch auch viele nicht so sichtbare Verbesserungen hat das DIBt-Website-Team in den letzten Monaten umgesetzt: Die Hell-Dunkel-Kontraste wurden erhöht und die Tastatursteuerung verbessert. User können sich von Leseprogrammen die Texte vorlesen lassen, erhalten Erläuterungen zu Abbildungen und können bei Filmen die Untertitel aktivieren.

Mit den Verbesserungen setzt das DIBt die zentralen Anforderungen für eine barrierefreie Informations- und Kommunikationstechnik um, die insbesondere für öffentliche Stellen gelten.

Bei der Umstellung unserer Website waren wir im Gespräch mit Menschen, die mit einer Beeinträchtigung leben. Dazu gehört auch Matthias Groß, den wir über das Cross-Mentoring-Programm des Kommunalen Arbeitgeberverbands (KAV) kennengelernt haben. Matthias ist Mobilitätsbeauftragter bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), und hat einen ganz eigenen "Blick" auf das Thema Barrierefreiheit.

Doris Kirchner und Matthias Gross auf dem Tempelhofer Feld, Berlin
Auf dem Tempelhofer Feld. Coronabedingt verlegten Matthias Groß und Doris Kirchner viele Gespräche ins Freie. Blindenführhund Bonja war stets mit dabei.

Interview mit Matthias Groß

Matthias, Barrierefreiheit ist sowohl etwas, das dich persönlich betrifft, als auch dein Beruf …

Ja, mein Name ist Matthias Groß. Ich bin – salopp gesagt – „Behindertenbeauftragter“ bei den Berliner Verkehrsbetrieben, kurz BVG, und habe selbst nur noch ca. 1 % Sehkraft.

Wer sich vorstellen will, wie sich das anfühlt, kann sich zwei Fäuste vor die Augen halten. Dann sieht man in etwa, was ich sehen kann. Im Sehzentrum bin ich blind, aber an den Rändern kann ich noch verschwommen etwas erkennen. Meine Augenkrankheit ist mit dem sechsten Lebensjahr ausgebrochen und wird sukzessiv schlimmer. Irgendwann werde ich ganz blind sein. Das kann morgen oder erst in 10 Jahren sein. Doch damit habe ich gelernt umzugehen und lebe jeden Tag, wie er kommt.

Als Jugendlicher war ich viele, viele Jahre Leistungssportler im Behindertenbereich und habe darüber viele Mobilitätseingeschränkte mit ganz unterschiedlichen Arten der Einschränkung kennengelernt. Aus diesem persönlichen Background habe ich dann die berufliche Schiene gewählt: die Laufbahn des Mobilitäts­beauftragten. In dieser Rolle versuche ich, die Berliner Verkehrsbetriebe – sei es die Infrastruktur, die Fahrzeuge oder die Fahrgastinformationssysteme – barrierefrei zu machen. Damit bin ich zum einen das Sprachrohr der Mobilitätsverbände bei der BVG und umgekehrt die Stimme der BVG bei den Mobilitätsverbänden. Wir haben das Ziel, ein inklusives Verkehrsunternehmen zu sein und zu werden.

Eine Frage: Du verwendest sehr entspannt das Wort "Behinderung". Ist das politisch korrekt und bist du in dieser Hinsicht repräsentativ?

Nein und nein.

Es gibt betroffene Personen, die empfindlicher auf das Wording reagieren als ich. Trotzdem ist die Wortwahl meiner Ansicht nach nicht das Wichtigste. Der Ton macht die Musik. Das haben uns schon unsere Eltern beigebracht. Um es ganz einfach zu sagen: Wir wollen auf Augenhöhe sein!
Ja, ich habe eine kleine Einschränkung, ein Handicap, eine Behinderung … was auch immer – und bin dennoch genauso ein Mensch wie du und alle anderen.

Bewusstsein schaffen wäre also ein wichtiges Anliegen?

Es gibt so ein unbewusstes kollektives Bild, dass es nur eine Form der Behinderung gibt, nämlich den Rollstuhlfahrer. Dieses Symbol begegnet uns an Parkplätzen, auf Türöffnern, in Verkehrsmitteln … Der Begriff „mobilitätseingeschränkt“ ist aber viel facettenreicher und weiter.

Er schließt die motorisch und kognitiv Eingeschränkten, die Taubstummen, die Sehbehinderten und Blinden, alte und gebrechliche Menschen und viele weitere ein. Auch ein Elternteil mit Kinderwagen oder eine Person mit schweren Koffern ist im fraglichen Moment „mobilitätseingeschränkt“. Und wer sich schon einmal das Bein gebrochen hat, weiß auch, wie schnell man "eingeschränkt" ist, und sei es nur auf Zeit.

Zum Bewusstsein schaffen hilft oftmals auch der Selbstversuch: Mach die Augen zu und googele das nächste Einkaufzentrum. Oder stell dir vor, du stehst an der Bushaltestelle und kannst nicht lesen. Wüsstest du, welcher Bus deiner ist?

Auch persönliche Erfahrungen bringen sehr viel. Das merkt man z.B. bei Menschen, die Berührungspunkte mit Mobilitätseingeschränkten haben, sei es in der Familie oder im Freundeskreis. Die gehen ganz anders, viel selbstverständlicher mit dem Thema um.

Wie „barrierefrei“ und inklusiv ist Deutschland heute?

Das ist eine vielschichtige Frage. Ich denke insgesamt ist Deutschland auf einem guten Weg, aber noch lange, lange nicht am Ziel.

Wo besteht noch Handlungs- und Veränderungsbedarf?

Da gibt es vieles zu nennen. Beispiel Infrastruktur: Wir haben weiterhin nicht überall abgesenkte Bordsteine oder Leitsysteme für Blinde. Auch öffentliche Gebäude sind nicht durchgängig barrierefrei, von privaten ganz zu Schweigen. Um hier nachzurüsten, steht noch ein enormer Aufwand im Raum.
Wenn ich mir die Websites von Behörden anschaue, fällt mir sofort das Motto „einfache Sprache statt Amtsdeutsch“ ein. Zum Beispiel, wenn es darum geht, einen Ausweis zu beantragen.  Hier grenzen wir immer noch viele Menschen aus, weil sie es einfach nicht verstehen – und bei weitem nicht nur kognitiv Beeinträchtigte.

Auch meinen Blindenhund darf ich rechtlich gesehen in jede Einrichtung, jedes Geschäft und jeden Supermarkt mitnehmen, weil er zwar optisch „ein Hund“ bürokratisch gesehen aber „ein Hilfsmittel“, wie ein Blindenstock, ist. Auch hier wurde ich schon wiederholt aufgefordert, meinen Hund draußen zu lassen. Ich glaube aber, es steckt kein böser Wille dahinter, sondern es fehlt einfach noch an Aufklärung.

Ich möchte aber nicht Schwarzmalen. Es passiert auch schon etwas. Es gibt zunehmend Regelungen zur Barrierefreiheit. Und viele Dinge funktionieren auch schon sehr gut. Zum Beispiel gibt es Mobilitätsdienste, über die ich Hilfe gestellt bekomme, z.B. ein Gebärdendolmetscher oder Begleitdienste für ältere Personen.

Welche Rolle spielt digitale Technik, um alle Lebensbereiche für alle zugänglich zu machen?

Die Frage ist so falsch gestellt. Digitale Technik kann bestimmte Einschränkungen fast ausgleichen. Für mich zum Beispiel ist mein Smartphone mein sehendes Auge. Ich kann damit z.B. etwas abfotografieren und mir von einer App erzählen lassen, was ich da sehe. Es gibt Programme, die mir vorlesen. Gerade auf der Arbeitsebene bin ich so einer nicht behinderten Person komplett gleichgestellt.

Wir stützen uns aber inzwischen sehr auf die digitale Säule und verlieren dabei aus dem Blick, dass es viele Menschen gibt, die nicht digital unterwegs sind, z.B. ältere Personen oder einfach Menschen, die zu Technik keinen Zugang haben. Das heißt wir brauchen auch weiterhin analoge Hilfen, etwa Telefondienste, bei denen man nachfragen kann, ob der Aufzug an Bahnhof XY funktioniert.

Auch im baulichen Bereich ist mit IT nicht geholfen. Wenn ich als Rollifahrer auf einen Fahrstuhl, eine Rampe oder eine verbreiterte Tür angewiesen bin, um zu einem Facharzt im dritten Stock zu kommen, dann führt am Umbau kein Weg vorbei.

Um zusammenzufassen: IT ist ein tolles Hilfsmittel, aber es ist keine Lösung für alles und alle. Wir müssen auch unsere analoge Welt mobilitätsfreundlich einrichten.

Bei uns geht es ja um die Barrierefreiheit der DIBt-Website. Was macht für dich eine gute, barrierefreie Website aus?

Wenn sie für jedermann/jederfrau zugänglich ist. Das heißt: ich habe leichte Sprache, eine verständliche Sprache, eine klar strukturierte Seite, keine Slider, die hin- und her rutschen, bevor ich als Sehbehinderter sie fixieren kann. Die Seite muss vorlesbar und kontrastreich sein, sodass jede Person sie nutzen kann.

Wenn du dir eine Sache in Bezug auf eine gleichberechtigte Teilhabe wünschen dürftest, was wäre das?

Mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt. Ich würde mir inklusive Teams und Abteilungen wünschen. Dann würden wir viel schneller weiterkommen in jeglicher Art der Barrierefreiheit. Es gibt z.B. viele blinde Programmierer, die genau wissen, wie man Websites vorlesbar und kontrastreich gestaltet. Und bei einer Baubehörde könnte ein Rolli-Fahrer seine Erfahrung und sein Know-how zum Thema Barrierefreiheit natürlich hervorragend einbringen.

Vielen Dank, Matthias. Das war sehr aufschlussreich. Künftig werden wir "mit anderen Augen" auf die Frage der Barrierefreiheit schauen … und viel bewusster BVG fahren.

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