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16. Oktober 2025

Regulating Transformation – Welche Regeln braucht das Bauen der Zukunft?

Welche Regelung braucht das Bauen der Zukunft – und wie kann die Regelsetzung den Wandel hin zu Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Innovationsfreundlichkeit sinnvoll unterstützten? Diese Leitfragen standen im Zentrum des ganztägigen Fachdialogs „Regulating Transformation? The Role of Codes and Standards for Climate-Friendly, Sustainable and Safe Construction“, den das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) am 8. Oktober 2025 im Rahmen der IRCC-Jahrestagung in Berlin ausrichtete.

Unter der Schirmherrschaft von DIBt-Präsident und IRCC-Chairman Gerhard Breitschaft brachte die Veranstaltung Expertinnen und Experten aus 13 Ländern zusammen. Dabei trafen internationale Regelsetzer auf Vertreterinnen und Vertreter von Fachverbänden und Kammern sowie von Bund und Ländern in Deutschland. Ergebnis war ein Austausch der vielen Perspektiven über die Themen: Wie viele und welche Regelsetzungen brauchen wir? Sollten wir neue gesellschaftliche Herausforderungen, wie etwa Nachhaltigkeit, regulieren und wie? Welche technischen Lösungen können innovative Bauprodukte und Bauweisen bieten und wie integrieren wir sie sicher in unser bauaufsichtliches System? Und last but not least, wo liegt die richtige Balance zwischen Regulierung und Eigenverantwortung?

Das Veranstaltungskonzept war bewusst dialogorientiert angelegt: In mehreren Themenblöcken eröffneten Impulsvorträge ausgewählter Expertinnen und Experten den fachlichen Austausch. Die Erkenntnisse wurden anschließend im Plenum diskutiert.

Publikum in einem Konferenzsaal.
Dialog im Vordergrund: Das Plenum diskutiert an den Tischmikrofonen mit

Climate-Friendly and Forward-Looking Construction

Im ersten Themenblock warfen Fachleute aus unterschiedlichen Regionen der Welt ein Schlaglicht auf die unterschiedlichen Regelungssysteme im Bauwesen.

Dr. Andreas Hechtl vom Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr eröffnete mit einem Überblick über das föderale bauaufsichtliche System in Deutschland. Er beleuchtete auch das Ineinandergreifen von europäischen und nationalen Vorschriften.

CHIN Chi Leong, Executive Director der Building and Construction Authority in Singapur, stellte das bauaufsichtliche System des kleinen Stadtstaates vor. Die zentrale Struktur ermöglicht zwar einerseits ein leichteres "Durchregieren", jedoch müssten die Maßnahmen an die Leistungsfähigkeit der Akteure angepasst sein. "Wir ziehen die Regelungen nach und nach an," erläuterte er. Unterstützend wirkt dabei die weit fortgeschrittene Digitalisierung des Systems.

Tracy Wise vom National Research Council of Canada stellte mit Kanada ein weiteres föderales System vor. In Kanada wird die Musterbauordnung von einem Bundesinstitut, dem National Research Council, erstellt. Letztlich entscheiden jedoch die neun Provinzen und drei Territorien, welche Regelungen sie einführen. Ein interessanter Ansatz: Ab 2030 sollen Klimaprognosedaten in die Bemessung von Tragwerken des Ingenieurs- und Hochbaus Eingang finden, um die Bauwerke für künftige Klimaverhältnisse aufzurüsten.

Ein Mann mit Brille und Anzug spricht in ein Mikrofon.
Singapur setzt auf die Digitalisierung: CHIN Chi Leong, Executive Director der Building and Construction Authority in Singapur, bei seinem Vortrag

Im anschließenden Dialog wurde deutlich: Trotz unterschiedlicher Systeme sehen sich die Bauaufsichten unterschiedlicher Länder mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert – Schaffung von Wohnraum, Nachverdichtung, Digitalisierung und Klimaschutz – um nur einige zu nennen.

Sustainability: A Regulatory Concern or a Luxury?

Dem Thema Nachhaltigkeit und Klimaschutz war dann auch der zweite Teil des Programms gewidmet.

Lothar Fehn Krestas, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, stellte zunächst die künftigen europäischen Vorgaben zur Nachhaltigkeit im Bauwesen vor: Mit der Gebäudeenergierichtlinie ((EU) 2024/1275), der novellierten Bauproduktenverordnung ((EU) 2024/3110), der Taxonomieverordnung ((EU) 2019/2088) und weiteren, greift hier gleich an ganzes Bündel relativ neuer Maßnahmen. 

Thomas Rockenschaub vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB) griff die Themen Energieeffizienz und Nachhaltigkeit heraus, und zeigte, wie Österreich die Umsetzung der neuen EU-Vorgaben plant.

Ina Hundhausen, Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Bauchemie e.V., lud dazu ein, die unternehmerische Perspektive einzunehmen. Ihrem klaren Ja zu Nachhaltigkeit und auch zu staatlicher Regelsetzung stellte sie reflektierte Forderungen entgegen: keine Detailregelung, sondern Konzentration auf die "großen Hebel"; kleinere und mittlere Unternehmen bei der Umsetzung von Regulierungsmaßnahmen im Blick behalten; Sicherstellung von Rechts- und Bauwerkssicherheit, aber auch die Möglichkeit, Innovationen in einem kompetitiven Zeitrahmen auf den Markt zu bringen.

Eine Frau mit Brille steht vor einem Laptop und spricht in ein Mikrofon.
Ina Hundhausen (Deutsche Bauchemie e.V.) macht sich für die 80:20-Regel (Paretoprinzip) bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen stark

Innovation: Showcasing Latest Developments in Engineering

Bei der Lösung der Herausforderungen der Zukunft spielen innovative Bauprodukte und Bauarten eine wichtige Rolle. Dies veranschaulichten Expertinnen und Experten im Rahmen des dritten Themenblocks anhand aktueller Beispiele.

Mathias Wagner, DIBt, präsentierte technologische Fortschritte im Bereich der zementarmen und zementfreien Bindemittel und Betone. Bettina Hemme, DIBt, referierte über aktuelle Entwicklungen im Lehmbau. Anja Dewitt, DIBt, stellte den Nachweisweg für Holzmodule in Deutschland vor. Mit der geplanten Aufnahme von Holzmodulen in DIN 1052-11 werden diese in absehbarer Zukunft geregelte Bauprodukte. 

Judy Zakreski, Vice President für Global Operations & Solutions beim International Code Council, USA, griff das Thema Modulbau auf und illustrierte Chancen und Herausforderungen, so etwa die verbesserten Möglichkeiten der Qualitätskontrolle auch durch externe Drittstellen durch hohe Vorfertigung im Werk, aber auch die Herausforderung der Übereinstimmung mit lokalen Bestimmungen bei internationalen Lieferketten.

Ein Mann mit Brille und blonden Haaren spricht in ein Mikrofon.
Sorgte für Gesprächsstoff: Mathias Wagner (DIBt) mit seinem Vortrag zu Innovationen in der Betontechnologie

Technical Regulations: Examples and Experiences

Am Nachmittag stand die Regelsetzung selbst im Fokus der Diskussionen.

Ronald Schwuchow, DIBt, unterstrich, dass technische Regelungen gerade im Bauwesen mehr sind als bloße Verwaltungstexte. Sie basieren auf einer komplexen wissenschaftlichen Sicherheitstheorie und sind Garant für die Sicherheit der gebauten Umwelt, definieren aber auch Verantwortungen, schaffen Vertrauen und Rechtsklarheit.

Charles-Elie Romeyer, UK Health and Safety Executive, gab Einblicke in die Situation in England, wo das Regelungssystem nach dem schweren Brand des Grenfell Tower neu gedacht und nachgeschärft wird.

Sebastian von Oppen, Bundesarchitektenkammer, attestierte, dass Regelsetzung in der Praxis Orientierung und Verlässlichkeit biete – gerade für Architekten und Planende, die im Spannungsfeld zwischen Kreativität und Sicherheit agieren. Gleichzeitig warf er die Frage auf, welche der oft vielfältigen Normen nun wirklich diejenigen sind, die erfüllt werden müssen, gerade mit Blick auf den sehr vagen Begriff der "allgemein anerkannten Regeln der Technik". 

Susanne Urban, Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V., ergänzte eine Sicht aus der Ingenieurpraxis und betonte die bedeutende Rolle von technischen Regeln in Planung, Bemessung und Ausführung: "Der Werkzeugkasten an Baunormen dient dazu, ein hohes Maß an Zuverlässigkeit in der Planung, Bauausführung und Baustoffherstellung zu schaffen. So werden die Risiken entlang der Wertschöpfungskette handhabbar gestaltet."

IJsbrand van Straalen, TNO, macht schließlich anhand des niederländischen Regulierungssystems deutlich, dass nicht nur die bauaufsichtlichen Systeme komplex sind, sondern auch der Versuch, diese Komplexität zu reduzieren, einige Herausforderungen birgt. Berücksichtigt werden müssen nicht nur die grundlegenden Anforderungen an Bauwerke, wie Sicherheitsaspekte, Gesundheitsschutz und Nachhaltigkeit. Auch implizite Erwartungen etwa in Bezug auf Dauerhaftigkeit, Kosten und Zeit sind zu berücksichtigen. Letztlich muss zwischen Rechtssicherheit und persönlicher Verantwortung, Mindestanforderungen und dem Wunsch nach detaillierten technischen Regelungen, Bewährtem und Innovation abgewogen und eine gesellschaftlich akzeptable und anpassungsfähige Balance gefunden werden.

How Much Regulation Does the Construction Sector Need?

In der abschließenden Podiumsdiskussion zur Frage, wie sich das Bauen gleichzeitig einfach und sicher gestalten lässt, trafen die vielseitige Perspektiven schließlich konzentriert zusammen. Einig war man sich in einem Punkt: Es braucht Regeln – gezielt, durchdacht und mit Augenmaß. 

Geradezu sinnbildlich war die Reaktion von Peter Rankin (UK Health and Safety Executive) auf einen Kommentar aus dem Panel. Dort war der Vorschlag gefallen, für jede neue Regel zwei bestehende zu streichen. Rankin entgegnete mit dem Hinweis: „Eine ähnliche Regel hatte die britische Regierung bis 2017 auch. Die Praxis wurde bei der öffentlichen Untersuchung zum Grenfell Tower stark kritisiert.“

Der Austausch brachte damit das zentrale Spannungsfeld des Tages auf den Punkt: Wie lässt sich der Wunsch nach Vereinfachung mit der Verantwortung für Sicherheit der gebauten Umwelt verbinden? Im Ergebnis lässt sich die Paneldiskussion so zusammenfassen: "Verlässliche Regeln schaffen ein gemeinsames Fundament. Dennoch müssen wir im Gespräch über die Qualität und den Umfang unserer Regeln bleiben, und gemeinsam schauen, wo wir Dinge besser machen können.Mit diesem Gedanken endete ein intensiver und konstruktiver Austausch.

Sechs Personen bei einer Podiumsdiskussion.
Die Teilnehmenden der Podiumsdiskussion, v.l.n.r.: Ina Hundhausen (Deutsche Bauchemie e.V.), Markus Feldmann (RWTH Aachen), Andreas Hechtl (Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr), Peter Rankin (UK Health and Safety Executive), CHIN Chi Leong (Building and Construction Authority Singapur), Sebastian von Oppen (Bundesarchitektenkammer)

DIBt-Präsident Gerhard Breitschaft bedankte sich anschließend bei den Referentinnen und Referenten, Zuhörenden und Mitdiskutierenden sowie den Helferinnen und Helfern im DIBt, die diese Veranstaltung möglich gemacht haben.

Der Abend klang in entspannter Atmosphäre beim gemeinsamen Get-together im DIBt mit freundlicher Unterstützung der Bundesvereinigung der Prüfingenieure für Bautechnik e.V. (BVPI) aus – ganz im Sinne des Veranstaltungsformats: Dialog als Motor für Veränderung.

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